Satiren

Die Mängelreisen GmbH


Immer häufiger und immer selbstbewußter machen enttäuschte Kunden von Pauschalreisen ihrem Ärger über angetroffene Mängel Luft. Die Reklamationen über Unsauberkeit an Stränden und in Unterkünften, über Lärm und schlechte Verpflegung, verstopfen die Gerichte. Die Enttäuschung über erfolgloses Klagen ist groß, entsprechend gefeiert werden aber auch die Triumphe bei erlangter Genugtuung.

Da hat sich eine Marktlücke aufgetan, die sich ein Balinger Reisebüro zunutze gemacht hat, die Firma "Da kannst du was erleben"-Reisen GmbH & Co KG. Sie hat die große Neuerung auf dem Reisemarkt in die Welt gesetzt, die Mängelreise.

Der Kunde bucht vor Antritt der Reise so viele Mängel, wie er hinterher reklamieren will, angefangen von der Flugzeugverspätung über angefaulte Trauben beim Nachtisch bis hin zur morschen Balkonstütze, und hinterher reklamiert er mit garantiertem Erfolg. Die Reklamationssumme ist mit 14 % MwSt-Aufschlag sofort zu entrichten. Nach Heimkehr erhält der Reisende eine Broschüre, in der die wirkungsvollsten Formulierungen zur gerechten Empörung im Bekanntenkreis zusammengefaßt sind. Zum Beispiel: Man wußte nicht, was schwärzer war, der Ölteppich am Strand oder das Bettlaken. Und dann kann er einen hauseigenen, sehr energischen und scharfen Rechtsanwalt buchen, der ihm zu seinem garantierten Recht verhilft.

Bei eigenen Zerknirschungskuren in Bad Oeynhausen lernen die Abteilungsleiter, den unterwürfigen und reumütigen Eindruck zu verbreiten, den die Kunden so sehr schätzen, und sie geben bei der Entschädigungssumme bis in beliebige Höhe nach, eine der Zusatzleistungen, die zum Selbstkostenpreis angeboten wird. Diese Mängelreisen GmbH hat solchen Zuspruch, daß in Reutlingen, Hechingen und Mössingen schon Filialen gegründet werden mußten. Allerdings geht es auch bei diesem Reisebüro nicht ganz ohne Reklamationen ab.

Ein Herr aus Kalkar erschien mit hochrotem Kopf beim Geschäftsführer und machte geltend, daß von den 13 gebuchten Mängeln nur 12 tatsächlich eingetreten seien, außerdem seien von den versprochenen mindestens 90 Kakerlaken im Schlafzimmer nur drei erschienen.

Das Fehlen des 13. Mangels, eben das sei doch der 13. Mangel, und zwar ein Luxussondermangel mit Aufpreis, den er noch entrichten müsse, die fehlenden Kakerlaken seien eine kleine Aufmerksamkeit der Reiseleitung.

Der Kunde bezahlte seine dreitausend Mark bar und ging hochbefriedigt aus dem Reisebüro, denn er hatte klug vorgesorgt und eine Sondermängel-Zusatzversicherung abgeschlossen, die in dem Rundum-Sorglos-Paket enthalten ist, dem Nonplusultra in der Mängelreisen GmbH in Düsseldorf, Königsallee 13. Wenn Sie das Reisebüro nicht finden sollten, bleiben Sie gelassen. Es ist vielleicht gerade beim Mangeltraining, und Sie können sich an Ort und Stelle überzeugen, wie erfolgreich es arbeitet.


Gesendet am 11.04.1992 in "Unterhaltung am Wochenende" auf WDR 5.

Die Lügenakademie


In Castrop-Rauxel gibt es eine Akademie, wo man lügen lernt, die Lügenakademie.

Die Ausbildung dauert drei Jahre. Danach kommt die sogenannte Abfeimung, das ist die Abschlußprüfung. Wenn man sie bestanden hat, darf man sich "abgefeimter Lügner" nennen. Und zwar muß man dabei eine abgefeimte Lüge erzählen. Wenn sie jemand im Prüfungskomitee nicht glaubt, fällt man durch. Ein Prüfer braucht bloß zu sagen "glaub ich nicht", und man muß sofort aufhören, zu lügen.

Bei mir war das nicht so, denn: Ich darf von mir sagen, daß ich die Castrop-Rauxeler Lügenakademie und die Abfeimung bestanden habe. Und nicht nur das: Ich habe glanzvoll bestanden, denn ich habe eine abgefeimte Lüge erzählt, und niemand hat dazwischengerufen "glaub ich nicht".

Ob Sie mir's glauben oder nicht.

Wollen Sie jetzt wissen, was ich erzählt habe als allerabgefeimteste Superbetrugs-Hochglanz-Lüge? Wollen Sie wirklich wissen? Also. Hören Sie zu:

In Castrop-Rauxel gibt es eine Akademie ...


Unveröffentlichtes Manuskript.

Der alte Dichter


Der alte Dichter kam mit zwei prallgefüllten Plastiktüten voller Manuskripte. Es waren Versepen, die Titel hießen "Ilias" und "Odyssee". Bärtig, gebückt, mit Baskenmütze, so stand er in seinem alten Trenchcoat vor der Tür der Redaktion.

"Sehr schön, Herr Homer, aber viel zu lang!", war der Kommentar, wie eigentlich immer. "Machen Sie kurze Sätze, und bedenken Sie: Achtzig Prozent unserer Leser haben kein Abitur. Knapp, zündend, verständlich!"

Schließlich erklärte sich eine Rundfunkanstalt bereit, Auszüge in Fortsetzung zu senden. Als aber der Dichter im Studio ein Musikinstrument auspackte und stimmen wollte, wurde er gebeten, nur zu lesen. Hier sei Literatur, nicht Musik. Die Abteilung für ernste Musik verwies an die Folkloreabteilung, diese erklärte wegen des hohen Textanteils wiederum die Literaturabteilung für zuständig. Die Redaktion Unterhaltungsmusik wollte nur "Instrumentals", von maximal anderthalb Minuten, ohne Text, um die Autofahrer nicht mit ausgefallener Poesie zu verwirren.

Nach einer langen Irrfahrt durch viele Stationen und Enttäuschungen gelang es Homer, gegen Druckkostenbeteiligung bei einem kleinen Verlag in der schwäbischen Provinz, dem "Piniensamen­-Verlag", unterzukommen und sogar eine gewisse Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Ein Feuilleton schrieb von "unerträglicher Heimattümelei mit ätzenden Längen", eine Illustrierte bemängelte zu wenig knackigen Sex, trotz vielversprechender Ansätze. Es kamen dennoch Angebote: Eine Videofirma interessierte sich für die Rechte an den brutalen Schlacht- und Racheszenen, eine große Fernsehanstalt wollte sogar eine Serie in prominenter Besetzung herstellen, aber die Götter und ihr Eingreifen durchweg streichen. Das seien irrationale Vernebelungen der sonst erfreulich realistischen Darstellungsweise, die den Blick auf den prägnanten Plot von Krieg und Heimkehr verstellten. Darin aber sei gerade die versteckte Aktualität enthalten: die Fragen nach Frieden und Heimat, gerade in Deutschland.

In einer Kleinstadt mit Universität fand eine schlecht besuchte Dichterlesung in einer Buchhandlung statt. Der Chefredakteur der einzigen Zeitung am Ort und sein Stellvertreter, die sich beide mehr für überregional bedeutsame Ereignisse zuständig fühlten, schickten einen jungen Mann, der sich gegen freien Eintritt und etwas Zeilenhonorar die Langeweile zwischen Gymnasium und Sportstudium mit einer gelegentlichen Tätigkeit als Kunstrichter vertrieb, und er schrieb folgendermaßen: "Artig hält sich der Autor an das in der Schule eingepaukte Versmaß. Dieses Großmärchen von zwanzigjähriger Treue der Heldengattin mag einem pensionierten Standesbeamten Gelegenheit geben, sich von seinem Leichtbier nachzuschenken. Immerhin weiß der Poet bisweilen durch originelle Metaphorik zu gefallen, aber im ganzen kann seine Arbeit doch ihren ländlichen Charakter nicht verleugnen, und inzwischen dürfte doch wohl selbst in der griechischen Provinz etwas Spannenderes aufzutreiben sein."

Freunde bewogen den Dichter, sich dergleichen nicht zu nahe gehen zu lassen. Als aber die Reisebeilage einer großen Tageszeitung ungefragt einzelne Zeilen als Bildunterschriften zu einem Bericht über Mittelmeerkreuzfahrten abdruckte, als er dann auf seinen Protest hin zu hören bekam, er sei schließlich namentlich genannt worden und habe ein dreifaches Zeilenhonorar überwiesen bekommen, da zog sich der Dichter Homer in das achte vorchristliche Jahrhundert zurück.

Dort kam er schnell zu dem Weltruhm, unter dem wir ihn heute noch kennen. Blind, sagt man, sei er gewesen, und zwar für die Vorzüge eines Kunst- und Literaturbetriebes, der es ihm doch immerhin ermöglichte, sich durch Flucht ganz an den Anfang zu setzen, auf eine erste Stelle, von der ihn keiner mehr vertreiben kann.


Gesendet am 07.11.1992 in "Unterhaltung am Wochenende" auf WDR 5.

Gedruckt in: NZZ, 01.12.1993.

und in: Sauglatt. Satire in Schwaben. Hrsg. v. Thomas Vogel, Stuttgart 1994, S. 96.

Share by: