Ausgewählte Lieder

Ausgewählte Lieder


Herbstspaziergang


Wandre in deinen Stiefeln aus Gummi
die Wiese hinunter, den Waldrand entlang.
Fahr im Gehn mit der Spitze vom Schuh
durch die raschelnden Blätter und pfeif dir ein Lied.
Und pfeif dir ein Lied, denn ein schöner Wind weht
von vorne und macht dir ein kaltes Gesicht.

|: Heut früh warn schon alle Pfützen gefroren,

aber dann kam die Sonne – das Eis blieb nicht! :|


Greif aus dem Laub einen morschen Ast, dreh dich,
hol aus und zerschmettre ihn an einem Baum.
Renn ein Stück weit, geh langsam, bleib stehen
und schaue zu Boden und schnaufe dich aus.
Und im weichen Boden sind Spuren von Tieren,
in manchen kannst du noch das Wasser stehn sehn.

|: Heut früh warn schon alle Pfützen gefroren,

aber dann kam die Sonne – das Eis musste gehn. :|


Es ist jetzt die Zeit, wo man anfängt, zu heizen,
und wo man das Warme zum ersten Mal riecht,
wenn man von außen nach innen hineinkommt –
so tritt in die Stube vom Gasthaus "Zum Lamm".
Und das "Lamm" ist noch leer, bloß ein Kind schreibt am Stammtisch
mit schiefem Kopf was in sein Schulheft hinein.
|: Heut früh lag schon lauter Eis auf den Pfützen,

aber dann schmolz das Eis in das Wasser hinein. :|


Die Wirtin kommt und die Wirtin geht fort
und die Wirtin kommt wieder und bringt dir den Wein.
Der Wein schmeckt ein bisschen zu süß, doch du trinkst ihn
und schläfst für eine Sekunde ein.
Schläfst ein und erwachst, und du fragst dich: Wo bist du?
Muss irgendwo in Deutschland sein ...

|: Heut früh lag schon lauter Eis auf den Pfützen –

das Eis zog's dann vor, wieder Wasser zu sein. :|


Draußen im Dorf fahren Mädchen auf Karren
die Kannen voll Milch hin zum Milchsammelpunkt.
Die Mädchen heißen hier Sandra und Petra
Martina, Ilona, Anita, Jasmin.
Und Sandra und Petra, die tragen so baumelnden
glitzernden Schmuck an den Ohrläppchen dran.

|: Heut früh lag schon lauter Eis auf den Pfützen,
aber dann fing das Eis bald zu schmelzen an. :|


Vor'm Dorf vorbei führen Hochspannungsmasten

den Strom über die flurbereinigte Flur.
Ein rotes Licht auf der höchsten Mastspitze,
daß keine Flugzeuge daranstoßen solln.
Und es knistert im Dunkeln der Starkstrom über dir –

du frierst, du willst heim und du stehst doch noch da:

|: Lag nicht heut früh schon das Eis auf den Pfützen?
Doch, doch, aber mittags war kein Eis mehr da. :|


Musik: „The Caledonian Hunt‘s Delight“ (Trad. Schottland)


Aus dem Album: Das Einhorn (1978)

Der Clown


Mein Kind, als wir im Zirkus waren,

saß das Volk in bunten Scharen

rings im Dunkeln um die Lichter,

helle Flecken die Gesichter.

Inzwischen spielte die Trompete

und es verstummte das Gerede.

Es stand mit seinem weißen Mund

der große Clown im Hintergrund.

Weißt du noch, wie wunderbar

bunt er war? Wunderbar! Wunderbar!


Und als er kam, da gab's Geflüster,

die Kinder tuschelten: „Das ist er!“

Sein schmales Körperlein hing lose

in der großkarierten Hose.

Er baumelte mit schweren Händen

aus den Jackenärmel-Enden,

bog sich zurück und lachte hell,

lachte heiser, lieb und schnell.

Weißt du noch, wie wunderbar

bunt er war? Wunderbar! Wunderbar!


Es kam der große, überwache

Augenblick im Zirkusdache:

Trommel wirbelt durch die Lüfte

Artistenkopf, Artistenhüfte.

War jeder Augen Blick erhoben

in die helle Kuppel droben,

aber dunkel war es unten,

der große Clown war ganz verschwunden!

Weißt du noch, wie wunderbar

bunt er war? Wunderbar! Wunderbar!


Als er die kleine Geige brachte,

auf Riesenschuhen, sachte, sachte,

da machte er ganz kleine Schritte,

und dann stand er in der Mitte.

Und sein Gesicht, das war verwundbar,

das war der Grund, daß es so bunt war,

und seine kleine Geige schwang

ans Kinn und spielte den Gesang.

Weißt du noch, wie wunderbar

bunt er war? Wunderbar! Wunderbar!


Am Ende zogen um die weiße

Arena alle noch im Kreise.

Kinder klatschten, Künstler winkten,

Kugellampen-Plättchen blinkten.

Jetzt ist der Himmel grau verhangen,

wir sind zum Zirkusplatz gegangen.

Da liegt anstatt dem großen Zelt

ein weißer Flecken in der Welt.

Weißt du noch, wie wunderbar

bunt er war? Wunderbar! Wunderbar!


Aus dem Album: Feuer, Wasser, Luft und Erde (1981)

Mädchen auf der Schiffschaukel


Mädchen auf der Schaukel,

Schiffschaukel, auf der Schiffschaukel,

Mädchen auf der Schiffschaukel,

Mädchenschiff, schau.


Und sie schiebt sich entlang im Gestänge,

und so macht sie sich schwer, damit sie fällt.

Und im Stehn saust sie nieder durch die Menge,

mit dem Kiel des Schiffes streift sie fast die Welt.

Und dann macht sie sich leicht, damit sie aufsteigt,

bis sie sich in der Höhe hält,

fällt sie wieder hinunter auf die weite,

auf die leichte, auf die schwere, auf die Welt.


Mädchen auf der Schaukel,

Schiffschaukel, auf der Schiffschaukel,

Mädchen auf der Schiffschaukel,

Mädchenschiff, schau.


Sie holt Luft, und sie peitscht mit den Haaren,

peitscht den Wind, wirft den Kopf zurück und lacht.

Keiner weiß, ist das Fliegen oder Fahren

oder Reisen oder Kreisen, was sie macht.

Und es falln ihr die Haare zu Tale,

wenn die Schaukel zu Berge sich stellt,

fällt sie wieder hinunter auf die weite,

auf die leichte, auf die schwere, auf die Welt.


Mädchen auf der Schaukel,

Schiffschaukel, auf der Schiffschaukel,

Mädchen auf der Schiffschaukel,

Mädchenschiff, schau.


Wenn sie unten ist, dann ist sie nicht zu greifen,

denn da saust sie, und da scheint sie doch so nah,

und dann schwingt sie sich hinauf im großen Reifen.

Wenn sie in der Höhe steht, ist sie da.

Aber wer sie in der Höhe droben küssen

dürft' und könnte, jetzt, das wäre ein Held,

fällt sie wieder hinunter auf die weite,

auf die leichte, auf die schwere, auf die Welt.


Mädchen auf der Schaukel,

Schiffschaukel, auf der Schiffschaukel,

Mädchen auf der Schiffschaukel,

Mädchenschiff, schau.


Musik: „Vieni sul mar“ (Trad. Italien)


Aus dem Album: Wie das Leben schmeckt (1982)

Wie das Leben schmeckt


Über'm Abgrund auf dem Sims

vom Hochhaus über'm zwölften Stock

schiebst du dich mit gespreizten Händen

rechts und links die Wand entlang.

Du weißt nicht, ob du springen sollst.

So spring nur zu, dann geht's dir auf,

aber dann hast du's zu spät entdeckt:

Das Rätsel, wie das Leben schmeckt.


Schau dir nicht auf deine Füße!

Drück den Kopf an den Beton

und schau auf das Gelände raus.

Schau, das ist unsre deutsche Welt.

Und diese Welt ist leergeleckt,

und du, mein Freund, willst dennoch hin.

Aber warum denn so direkt!

Vergiß nicht, wie das Leben schmeckt!


Denk dir eine Katze aus,

die schnurrend in der Kiste liegt

und alle viere von sich streckt

und ihrem Wurf zu trinken gibt.

Das kleine Katzenvolk, was da

blindselig saugt und mit Gepieps

die Pfötchen in die Mutter streckt,

das zeigt dir, wie das Leben schmeckt!


Denk, du wärst in Afrika.

Da kommt ein Löwe auf dich zu,

der duckt sich knurrend in den Sand

und schaut dich schief von unten an.

Er weiß nicht, ob er springen soll.

Erstarrt vor Angst geht's dir erst auf:

Der Löwe, der die Zähne bleckt,

der zeigt dir, wie dein Leben schmeckt!


In einem kahlen Klinikbett,

da hängt ein alter Mann am Tropf,

mit schlaffer Hand, die Lippen schmal,

die Wangen weiß, die Augen weit.

Er will was sagen. Du verstehst

es nicht, was er da heiser haucht,

aber schau, wie sich sein Kiefer reckt:

Der zeigt dir, wie das Leben schmeckt!


Denk dir einen Eskimo,

der hockt vor seinem Haus im Schnee,

zieht ein Stück Walroßspeck vom Mund

und schneidet's mit dem Messer ab.

Und dann zieht er den scharfen Stahl

der Klinge lachend durch den Mund.

Der so das Fett vom Messer schleckt,

der zeigt, wie ihm das Leben schmeckt!


In einem Dorf am Mittelmeer

ein Haufen Kinder, groß und klein,

der schmutzig, kichernd, braunverdreckt

sich hinter einem Eck versteckt.

Du kommst daher und ahnst von nichts.

Was sich da lachend mit Gebrüll

und ärmchenschlenkernd so erschreckt,

das zeigt dir, wie das Leben schmeckt!


Setz vorsichtig Fuß neben Fuß.

Fall nicht! Nimm meine Hand,

halt fest und steig zum Fenster rein.

Ich hab dir einen Apfel mitgebracht.

Horch, wie dieser Apfel kracht,

wenn man einen Biß reinmacht!

Hat dieser Krach dich aufgeweckt,

dann weißt du, wie das Leben schmeckt!


Aus dem Album: Wie das Leben schmeckt (1982)

Frühlingstag mitten im Winter


Kommt ein Frühlingstag mitten im Winter,

so laß den Mantel und gehe

mit bloßen Hemd

ins Freie, schließ deine Augen,

dreh dein Gesicht in die Sonne

und horch auf die Amsel:

Da ist alles, alles, alles, alles, alles, alles, alles, alles,

alles, alles drin, alles, alles drin.

Frühlingstag, was hast du im Sinn?

Alles, alles, alles, alles, alles, alles, alles, alles.


Wie ein Frühlingstag mitten im Winter,

so ist das erste Lächeln des Säuglings, der seine

Mutter erkennt und sich freut, daß sie kommt

und nicht weiß, ob sie bleibt

und hat Angst, daß sie geht:

Da ist alles, alles ... drin.

Lächelndes Kind, was hast du im Sinn?

Alles, alles ...


Wie ein Frühlingstag mitten im Winter,

so ist das einzig erleuchtete Fenster bei Nacht,

und du weißt nicht, ist Arbeit, ist Liebe,

ist Krankheit, ist Wahnsinn

oder Entzücken darin:

Es ist alles, alles ... drin.

Licht im Fenster, was hast du im Sinn?

Alles, alles ...


Wie ein Frühlingstag mitten im Winter,

so ist der Anblick der zwanzig Bände

Enzyklopädie mit Leder und Goldschnitt,

mit Stichwort und Ziffer,

die stehen Rücken an Rücken:

Da steht alles, alles ... drin.

Enzyklopädie, was hast du im Sinn?

Alles, alles ...


Wie ein Frühlingstag mitten im Winter,

so lächelt das Volk bei der Nachricht,

die Freiheit wär da,

und es freut sich und weiß nicht,

ob sie nun bleibt

und wie lange sie hält,

und hat Angst, daß sie geht:

Da ist alles, alles ... drin.

Lächelndes Volk, was hast du im Sinn?

Alles, alles ...


Kommt ein Frühlingstag mitten im Winter,

so laß den Mantel und gehe

mit bloßem Hemd

ins Freie, schließ deine Augen,

dreh dein Gesicht in die Sonne

und horch auf die Amseln:

Da ist alles, alles ... drin.

Frühlingstag, was hast du im Sinn?

Einen Frühlingstag mitten im Winter.


Aus dem Album: Sire, es ist Zeit (1989)

Die Realität


Hast du süß geträumt, dann klingelt der Wecker,

aufstehn, duschen, frische Socken anziehn,

neu gekaufte, sind noch zusammengenäht,

keine Schere da, das ist die Realität.


In zehn Minuten hast du einen Zahnarzttermin,

zwanzig Minuten brauchst du für den Weg.

Jetzt bist du noch nicht zu spät,

aber nachher ist es die Realität.


Im Auto vor der roten Ampel machst du dir Gedanken

über Wirklichkeit und Illusion,

und wie die Illusion zu der Wirklichkeit steht,

da hupt es hinter dir, das ist die Realität.


Dann liegst du beim Zahnarzt im Behandlungsstuhl,

du kriegst eine Spritze, es tut überhaupt nicht weh,

doch im Munde das sausende Bohrgerät,

das spritzt und zischt, das ist die Realität.


Später, zu Fuß in der Fußgängerzone,

eine Blasmusik mit täterätätät,

der Mann an der Tuba, der die Backen bläht

bei jedem Ton neu, das ist die Realität.


Von der Welle im Flusse unter der Brücke,

über die du gehst, da heißt es im Lied,

daß sie blau silbrig blitzen tät.

Braun-oliv, das ist die Realität.


An der Ecke, wo früher die Weinstube war,

da kommt jetzt ein McDonalds rein,

der Hackfleisch von Kühen aus dem Urwald brät,

dieser Satan, das ist die Realität.


Es wird noch gebaut, du schaust durchs Fensterloch hinein,

auf den Platz, wo du früher gesessen hast.

Ein Arbeiter, der einen Karren belädt

mit Sand, das ist die Realität.


Im Abdruck der Schaufel am fliegenden Sand,

da hast du dich selber und dein Leben erkannt,

und schickst zum Himmel ein Stoßgebet.

Gott, das ist die Realität.


Aus dem Album: Promenade (1990)

Die Zypressen


Trauerweiden, Ulmen, Eichen, 
die gedeihen bei uns hier.

Viele, die den Tannen gleichen 
stehn mit Nadeln ringsumher.

Doch manchmal stelle ich mir vor 
so Bäume, wie sie hier nicht sind,

die ragen schlank und schwarz empor

und rauschen leis im warmen Wind.


Die Zypressen, die Zypressen, die Zypressen 
wachsen nicht in Baden-Württemberg und Hessen. 
Nein, auf Samos und auf Naxos und auf Santorini, 
Capri, und von Smyrna bis Gibraltar rüber

stehn sie in Alleen und auf Feldern,

in Hainen wachsen sie, doch nie in Wäldern,

und manchmal stehen sie sogar auch ganz allein, 
ich will bei den Zypressen sein, den Zypressen sein.


An ihnen klettert niemand rauf,

das erlauben sie uns nicht.

Sie steigen in sich selber auf,

am Stamm die Äste dicht an dicht.

Sie lassen einen Schatten stumm

im Sonnenschein herab an sich,

der zeigt als Pfeil um sie herum

und einmal tags auf mich und dich.


Die Zypressen, die Zypressen, die Zypressen,

die stehn für jedermann, sich dran zu messen,

und sie stehn auf hohen Bergen, um zu melden,

wie unsterblich sei der Ruhm der alten Helden,

und es rasten zwischen ihnen die drei Grazien,

Zungenspitzen in den Lippen wie Pistazien,

und Eidechsen huschen um den warmen Marmorstein,

ich will bei den Zypressen sein, den Zypressen sein.


Sie standen schon um Ninive,

als Fackeln um Gomorrhas Brand,

um Troja, Knossos und Pompei,

sie stehen, wo Karthago stand.

Sie sahen Moses und Homer,

sie sahen Aufstieg, Glanz und Schwund

der Reiche um das Mittelmeer,

und rauschten leis im Hintergrund.


Die Zypressen, die Zypressen, die Zypressen,

die geben nichts zu trinken, nichts zu essen.

Doch sie stehn um alter Tempel Trümmerstätten

vor dem Sternenhimmel hoch als Silhouetten,

wo Zikaden und Zikaden und Zikaden

Serenaden spielen, um mich einzuladen.

Dort schimmert bläulich ein Geäst im Mondenschein:

Das müssen die Zypressen sein, die Zypressen sein.


Hier steht, was dunkelgrün und schmal

und schweigend auf den Himmel zeigt.

Hier steht, wie aller Zahlen Zahl,

die Eins, bevor sie sich verzweigt.

Was unentschieden und egal

zerstreut am Boden liegt und geht,

wird durch den Anblick vertikal,

erschauert, stellt sich her – und steht.


Den Zypressen, den Zypressen, den Zypressen

gelten meines ganzen Herzens Interessen.

Aus dem Norden, aus dem nebligen und müden,

will ich hin zu den Zypressen in den Süden,

den Zypressen, den Zypressen, den Zypressen,

die andern Bäume hab ich jetzt vergessen.

Und wenn ich einmal nicht mehr aufzufinden bin,

dann sucht mich nicht im Norden, denn dann steh ich

als Zypresse, als Zypresse, als Zypresse,

auf einem Berge jenseits aller Pässe,

mit anderen zusammen da in einem Hain,

dann laßt mich bei Zypressen sein,

bei den Zypressen sein.


Aus dem Album: Auf einem anderen Blatt (1997)

In hundert Jahren


Landsleute dort in hundert Jahren,

könnt ihr mich hören, wie geht's denn so?

Als Vorfahre komme ich vorgefahren

zu euch, daß ihr nachkommen könnt, hallo!

Möchte euch ein paar Fragen stellen

von unserer in eure Zeit hinein

und lauschen

dem Rauschen

der Bäume und dem, was die Quellen sagen,

nichts wird ja sonst eure Antwort sein.


Steht noch in München der Alte Peter,

steht noch in Nürnberg der Luginsland?

Und der Michel in Hamburg, steht der

noch an dem Platz, wo er immer stand?

Steht noch die rote Schloßruine

in Heidelberg am Hang und schaut

auf Feste

und Gäste?

Steht noch in Dresden die Frauenkirchenkuppel?

Die haben wir wieder aufgebaut.


Hebt in Berlin noch die goldenen Flügel

der Engel auf der Säule von einst wie heut?

Singt man noch auf dem Grünen Hügel

von Siegfried und Brünhilde in Bayreuth?

|: Ziehn auf dem Rhein noch die schweren Kähne

vorüber unter der Lorelei

stromaufwärts,

stromabwärts?

Ziehn auf dem Neckar noch weiße Schwäne

unter dem Hölderlinturm vorbei? :|


Verbinden auch euch noch unsere Netze

im Boden, im Äther und weit über Land?

Gelten für euch noch unsere Gesetze?

Sind alle Dämme und Deiche instand?

Habt ihr auch warmes Zeug für den Winter,

oder braucht ihr das nicht mehr?

Und kreisen

und reisen

die Tiefdruck- noch und die Hochdruckgebiete

von Rußland und über'n Atlantik her?


Laßt ihr noch Kerzen auf Tannenbäumen

im Dunkeln brennen zur Weihnachtszeit?

Sucht ihr noch Licht in den riesigen Räumen

des Weltalls und seiner Vergangenheit?

|: Spuren unserer Steinzeitahnen

habt ihr ja sicher schon mehr als wir

gefunden,

verbunden

mit uns, denn es kommen der Zeiten Bahnen

zu uns fast so weit wie zu euch dort her. :|


So, und jetzt fliegt euch mein Lied entgegen

durch hundert Jahre, ich verabschiede mich!

Singt eine Amsel im Sommerregen

vom Nachbardach rüber, dann bin's vielleicht ich.

Hängt einem Kind über eins seiner Ohren

ein Kirschenpaar vom Bodensee,

laßt's springen.

Es bringen

die Zeiten für euch, die noch lang nicht geboren,

und uns, was noch kein Mensch weiß. Ade.


Musik: „Marche du Royal Soissonnais“ (Trad. Frankreich)


Aus dem Album: Aus freien Stücken (2011)

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